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Psalm130

Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. Herr, höre meine Stimme! Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens! Wenn du, HERR, Sünden anrechnen willst - Herr, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte. Ich harre des HERRN, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen; mehr als die Wächter auf den Morgen hoffe Israel auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm. Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.

2. Korinther 3,18

Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.

Psalm 130 ist der Aufschrei eines Menschen, der in tiefer Bedrängnis ist: "Aus der Tiefe…". Der Psalmist ist offensichtlich in größter Not, aber wir wissen nicht genau, um welche Art von Notlage es sich dabei handelt. Wahrscheinlich ist er in Lebensgefahr und wird vom Feind angegriffen oder aber er steckt in einer tiefen seelischen Krise. In welcher Situation er sich auch immer befinden mag, eines ist völlig klar: der Psalmist lässt sich von dem Schmerz, dem er ausgesetzt ist, nicht lähmen, sondern beharrt auf seinem Glauben an Gott und setzt seine Hoffnung in ihn.

Der Geist der Hoffnung in seiner Seele ist stärker als der Geist der Hoffnungslosigkeit. Sorgen und Nöte, die er erfährt, nimmt er nicht zum Anlass, um gegen Gott aufzubegehren und zu klagen; vielmehr sieht er sie als Gelegenheit, zum Himmel aufzuschauen und Gott um seine Hilfe zu bitten. Er konzentriert seine Aufmerksamkeit nicht auf die vor ihm liegenden Schwierigkeiten, sondern auf Gott, der ihm alle Arten von Schwierigkeiten aus dem Weg räumen kann. Er ist gläubigen Geistes. Er betet und vertraut darauf, dass Gottes befreiende Gnade sein Gebet erhören wird.

Wenn er an seine Sünden denkt, so erfüllt es ihn mit Angst, dass Gott sie ihm anrechnen könnte. "Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst - Herr, wer wird bestehen?" (Vers 3). Er weiß, dass es keine Hoffnung für ihn geben kann, wenn Gott ihn für seine Sünden zur Rechenschaft zieht. Aber er vertraut darauf, dass Gott das nicht tun wird, weil Gott alle Sünden hinter sich zurückwirft (Jes 38,17). Der Psalmist ist sicher, dass Gott nicht an seinen Sünden, sondern an ihm persönlich interessiert ist. Er weiß, dass Gott nicht seine Verfehlungen und Missetaten zählt, sondern ihn als ganzen Menschen im Blick hat.

Der Psalmist sieht sich selbst als jemanden, der auf Vergebung, Gnade und Erlösung angewiesen ist, und Gott als den, der ihm all dies geben kann (Verse 4 und 7). Er bittet Gott um Vergebung und bringt damit zum Ausdruck, dass er sich seiner Sünden zutiefst bewusst ist. Deshalb fleht er Gott "aus der Tiefe" an: aus der Tiefe seiner Treulosigkeit, seines Ungehorsams, seiner Verfehlungen. Niemand kann Gott "aus der Tiefe" anrufen, wenn er nicht die zerstörerische Macht der Sünde in sich selbst spürt.

Verse 5 und 6 machen deutlich, dass der Verfasser bedingungslos auf Gottes Vergebung vertraut: "Ich harre des HERRN, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen." Der Psalmist hat auf Gottes Segen gewartet und ihn empfangen. Jeder, der nicht warten kann, wird Gottes Segen nicht empfangen. "Und ich hoffe auf sein Wort." Das Wort Gottes ist die Hoffnung derer, die keine Hoffnung haben. Gottes Wort hat befreiende Kraft und spendet Leben. "Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens" (Joh 6,68). Unsere Hoffnung auf Gottes Wort zu setzen, bedeutet, aus "der Tiefe" emporzukommen. Niemand hat jemals gehofft und ist dennoch in "der Tiefe" geblieben. Gott ist ein Gott, der alles wieder gut macht.

Verse 7 und 8 zeigen uns, dass der Psalmist bekommen hat, um was er Gott gebeten hat. Er ist jetzt nicht mehr in der Tiefe, in der er sich zuerst befunden hat, und so kann er das Volk Israel ermutigen und ermahnen, seine Hoffnung in den Herrn zu setzen. Sein Zeugnis lautet: "Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm." Er würde andere nicht ermutigen, ihre Hoffnung in den Herrn zu setzen, wenn er selbst enttäuscht worden wäre. Er zweifelt nicht daran, dass der Gott, der ihn erlöst hat, auch die Israeliten erlösen wird. Er weiß ganz sicher, dass der Herr sein Volk genauso wenig im Stich lassen wird wie ihn selbst.

Vers 8 handelt nicht von der Befreiung des Volkes Israel, sondern von seiner Erlösung. Erlösung fordert Opfer. Der Sohn Gottes wurde zu diesem Opfer. Durch seinen Opfertod wurden nicht nur die Israeliten, sondern die ganze Welt vom ewigen Tod erlöst.

Der Psalmist legt Zeugnis davon ab, dass Gott ihn nicht nur von seinen Sünden erlöst, ihm nicht nur seine Strafe erlassen, sondern ihm auch Frieden, Freude und neues Leben geschenkt hat. Diese innere Freude ist das Ergebnis von Vergebung. Niemand kann diese innere Freude und diesen Frieden empfinden, wenn er oder sie nicht Vergebung erfahren hat.

"Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist" (2. Kor 3,18). In Vers 16 betont der Apostel Paulus, dass die Decke nur weggenommen wird, wenn die Menschen sich Jesus zuwenden. In Vers 17 spricht er von der wahren Freiheit, die sie erlangen, wenn sie den Heiligen Geist empfangen. Niemand kann den Heiligen Geist empfangen, ohne sich Christus zuzuwenden. Wenn wir uns zu Christus bekehren und den Heiligen Geist empfangen, so können wir die Herrlichkeit Gottes widerspiegeln. Die Herrlichkeit Gottes widerzuspiegeln, bedeutet, nach und nach von einer Herrlichkeit zur anderen geistlich verklärt zu werden. Ohne die verwandelnde Kraft des Heiligen Geistes kann es keine geistliche Verklärung geben. Der Geist Christi hilft uns, in der Herrlichkeit Christi zu wachsen. Der Heilige Geist ist es, der in uns das Bild und die Gestalt Christi wiederherstellt.

Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass "die Decke" aus dem Leben derer, die Christen werden, weggenommen wird und dass sie "von Herrlichkeit zu Herrlichkeit", von "einer Kraft zur andern" gehen (Ps 84,8). Er will, dass alle zu dieser Erkenntnis gelangen. Mit den Worten "von Herrlichkeit zu Herrlichkeit" meint Paulus natürlich nicht weltlichen Glanz, sondern geistliche Stärke und Vollkommenheit.

Ohne Glauben kann es keinen allmählichen Prozess der geistlichen Anverwandlung, der Gleichgestaltung mit Christus geben. Der Glaube, den Gott uns geschenkt hat, führt uns zur Vollkommenheit. Unser Glaube an Christus gibt uns die Kraft, uns Christus anzuverwandeln. Der Glaube rechtfertigt uns. Der Glaube heiligt uns. Der Glaube verändert uns. Wenn wir das Wort "Veränderung" benutzen, meinen wir damit nicht bloß eine Veränderung unserer Gefühle oder unserer Meinung oder gar unseres Verhaltens, sondern eine Veränderung unseres Seins.

Unser himmlischer Vater verwandelt uns zum Bilde Gottes, er stellt in uns die Ebenbildlichkeit Gottes wieder her, die wir durch den Sündenfall verloren haben. Durch das unablässige Wirken des Heiligen Geistes in unseren Herzen, werden wir Christus gleichgestaltet. Und wenn wir Christus gleichgestaltet werden, spiegeln wir die Herrlichkeit und Schönheit des Vaters wider, denn Christus "ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens" (Hebr 1,3).

Was bedeutet es, Christus gleichgestaltet zu werden? Und was sollten wir tun, damit dies geschieht? Erstens müssen wir Christus bitten, "Anfänger und Vollender unseres Glaubens" zu werden (Hebr 12,2), und zweitens müssen wir ihn einladen, sein Leben in unserem Leben zu leben. Wenn wir das tun, wird er uns durch die gnadenvolle Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes nach seinem Bild erneuern.

Niemand kann die verwandelnde Kraft des wahren Christentums ohne diese Lehre vom Wirken des Heiligen Geistes verstehen. Wenn wir dieses Wirken in uns erfahren, so werden wir dadurch nicht nur zu freundlichen und guten Christen, sondern auch zu Christen, die verwandelt und wiedergeboren sind. Mit anderen Worten: es sind nicht die freundlichen und guten, sondern die verwandelten und wiedergeborenen Menschen, die in das Bild Christi hineingestaltet werden können.

Menschen, die von sich selbst sagen, dass sie wiedergeboren und erneuert sind, dürfen kein anderes Leben leben, als Christus es getan hat. Sie dürfen nicht nur den Namen Christi tragen, sondern müssen auch seinen Charakter und seine Charaktermerkmale, seine Identität und Individualität, seine Persönlichkeit - all das, was ihn auszeichnet, - in sich tragen. Anverwandlung, Gleichgestaltung bedeutet also, Christi Geist der Vergebung, sein liebendes Herz, seinen frommen Sinn zu haben und darüber hinaus die wiederherstellende und erneuernde Gegenwart Christi im Leben der verlorenen Menschheit zu sein.

Wenn wir Christus als Tor zum Heil annehmen, so wird es uns dadurch möglich, andere zum Heil zu führen. Auf diese Weise sind wir Christus wahrhaft anverwandelt.

Meloyan Vaghinag

Vater Meloyan Vaghinag ist Mitglied der Bruderschaft des Katholikats von Kilikien im Libanon. 1995 wurde er ordiniert. Nach dem Abschluss seines Studiums am Seminar des Katholikats studierte er zwei Jahre lang am Pittsburgh Theological Seminary in den USA. Gegenwärtig ist er Direktor der Abteilung für Bibelstudien/Theologische Ausbildung des Katholikats von Kilikien.

Gebet

Gott der Einheit, Gott der Liebe,
was wir mit unseren Lippen sagen, lass fest werden in unseren Herzen,
was wir mit unserem Geist bekräftigen, lass sichtbar werden in unserem Leben.

Sende uns deinen Geist,
dass er in uns bete, was wir nicht zu beten wagen,
dass er uns in Anspruch nehme über unsere eigenen Ansprüche hinaus,
dass er uns einbinde, wenn wir versucht sind, unsere eigenen Wege zu gehen.

Leite uns voran.

Leite uns zueinander.

Leite uns, deinen Willen zu tun,
den Willen Jesu Christi, unseres Herrn. Amen.


Wie können wir mit diesen Texten arbeiten

Warum ist es für die Herstellung guter Beziehungen zwischen Einzelnen, Gemeinschaften und Ländern wichtig, um Vergebung zu bitten und Vergebung zu erfahren? Was bewirkt es in "Opfern" und "Tätern", wenn sie Vergebung schenken bzw. erfahren? Welche Bedeutung kommt unserer Bitte um Vergebung im Vaterunser und in unseren Liturgien zu? In welcher Weise können wir uns mit dem Verfasser von Psalm 130 identifizieren?

Meloyan Vaghinag erinnert uns daran, dass der Psalmist zwar in tiefster Bedrängnis, aber nicht hoffnungslos verzweifelt ist. Lesen Sie alle Verse von Psalm 130 einzeln und prüfen Sie, welche Aussagen deutlich machen, dass der Verfasser an Gott glaubt und ihm vertraut. Was sagt dies über den Psalmisten und was über Gott aus?

Besagt dieser Psalm, dass Gott uns aus der Bedrängnis erretten und den Status quo wiederherstellen wird, oder bedeutet Vergebung, dass wir für immer verwandelt sind? Wie haben wir selbst Gottes Antwort auf unsere "Rufe aus der Tiefe" erlebt?

Lesen Sie 2. Kor 3,18. Was bedeutet es, durch das Wirken Christi und des Heiligen Geistes "von einer Herrlichkeit zur anderen" verklärt zu werden?

Wie kann uns diese Bibelstudie helfen, das Vollversammlungsthema "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt" zu verstehen und darauf zu antworten?