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18.01.06

Wir sind noch nicht eins, aber wir beten darum... gemeinsam

Von: K.M. George


Das Gottesdienstzelt in Porto Alegre steht als Symbol für das erklärte Ziel des ÖRK, ein Raum zu sein, in dem die Kirchen einander zur sichtbaren Einheit im einen Glauben und in einer Gemeinschaft der Liebe aufrufen.
© Chris Black / WCC
Bild in Hochauflösung

Als ein ganz besonderer Raum der Begegnung wird das große Gottesdienstzelt der Neunten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Porto Alegre das Vollversammlungsgeschehen prägen. Rund 3700 Teilnehmende aus Kirchen in aller Welt werden zweimal am Tag unter seinem weißen Dach zusammenkommen, um gemeinsam ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Gemeinschaft in Jesus Christus zu feiern und für Fortschritte auf dem Weg zur Einheit der Kirche zu beten.

Die ÖRK-Vollversammlung, die größte und repräsentativste Zusammenkunft christlicher Kirchen aus aller Welt, wird eine betende Vollversammlung sein. Selbst ihr Thema hat die Form eines Gebets: "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt". Ihre Beratungen und Diskussionen, ihre Programme und Zielsetzungen werden vom Geist des Gebets geprägt sein, des Gebets zum dreieinigen Gott - dem Schöpfer, Erhalter und Erlöser aller Menschen.

Das Gottesdienstzelt in Porto Alegre steht als Symbol für das erklärte Ziel des ÖRK, ein Raum zu sein, in dem die Kirchen einander zur sichtbaren Einheit im einen Glauben und in einer Gemeinschaft der Liebe aufrufen und sich im Gebet dem trinitarischen Geheimnis der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligen Geist öffnen können.

Und doch werden die Christen, die sich dort versammeln, einmal mehr die traurige Erfahrung machen, dass sie aufgrund geschichtlicher Entwicklungen, unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen, kultureller Praktiken und institutioneller Strukturen gespalten bleiben. Es wird ihnen einmal mehr schmerzhaft bewusst werden, dass sie immer noch keine gemeinsame Eucharistie oder irgendeine Form des sakramentalen Gottesdienstes, geschweige denn eine "ökumenische Liturgie", gemeinsam feiern können. Aber es wird sie nicht davon abhalten, ihre inbrünstige Hoffnung auf Einheit in Christus, ihrem Heiland, im Geiste des Gebets zum Ausdruck zu bringen und ihren gemeinsamen Glauben und ihr Vertrauen in die Kraft des Heiligen Geistes, der uns in alle Wahrheit führt, zu bekräftigen.

Wenn die Teilnehmenden an der Neunten Vollversammlung in Porto Alegre zu gemeinsamem schlichten und freudigen Gebet und Gesang zusammenkommen, werden einige Fragen sie ganz besonders beschäftigen:

- Was hält uns als Christen davon ab, unsere Einheit im Glauben und unsere volle Gemeinschaft in Christus, unserem gemeinsamen Herrn, zu verwirklichen und zu feiern?
- Welches sind die lehrmäßigen und geschichtlichen Hinderungsgründe, die unsere Kirchen auch weiterhin spalten?
- Was sollten wir heute tun, um als der eine Leib Christi Zeugnis vom gekreuzigten und auferstandenen Christus abzulegen?

Die Vollversammlung wird in diesen Momenten des gemeinsamen Gebets und der gemeinsamen Andacht nach Inspiration und Erkenntnis suchen, um Antworten auf diese Fragen zu finden.

Vielfalt in all ihrer Schönheit

Die große Vielfalt der Kulturen und geistlichen Traditionen, die in den täglichen Gebeten zum Ausdruck kommt, wird diejenigen, die zum ersten Mal an einer solchen globalen Versammlung teilnehmen, zweifellos erstaunen.

Die Vielfalt ist Gottes Gabe an die Menschheit und die ÖRK-Vollversammlung sowie ihre Andachten sollen die Schönheit dieser Vielfalt in mannigfacher Weise zum Ausdruck bringen. Gebete und Lieder, Zeichen und Symbole, Riten und Rituale, die aus verschiedenen Traditionen der christlichen Familie stammen, werden im gottesdienstlichen Leben ihren Platz finden.

Es wird jedoch Sorge getragen werden, dass diese unterschiedlichen Ausdrucksformen christlichen Lebens nicht so miteinander vermischt werden, dass die besondere Identität der verschiedenen Traditionen verwischt oder die Sensibilität bestimmter Mitgliedskirchen des ÖRK verletzt wird. Die Integrität jeder Tradition wird im Rahmen des Möglichen deutlich gemacht werden.

Aus diesem Grund hat der Gottesdienstausschuss der Vollversammlung sich eingehend mit den Überlegungen der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK befasst. In Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Kommission ist das Gebetsleben der Vollversammlung so organisiert worden, dass es sowohl interkonfessionelle als auch konfessionelle Andachten gibt.

Während die interkonfessionellen Andachten am Morgen die liturgischen Materialien vieler Konfessionen und Traditionen einbeziehen, finden die Abendandachten zumeist in Form eines konfessionellen gemeinsamen Gebets statt, wie es die Sonderkommission genannt hat, das von einer Konfessionsfamilie oder -tradition für die ganze Vollversammlung geplant worden ist.

Eine Konfessionsfamilie kann jedoch eine andere dazu einladen, mit ihr gemeinsam eine konfessionelle Andacht zu leiten, wenn zwischen beiden Kirchentraditionen Beziehungen bestehen, die es ihnen erlauben, gemeinsame Gottesdienste zu feiern. Das ist z.B. der Fall bei der Abendandacht des Lutherischen Weltbundes (LWB), der den Reformierten Weltbund (RWB) zur Mitwirkung eingeladen hat.

"Wir haben unsere reformierten Brüder und Schwestern eingeladen, diese Abendandacht, die nach einer lutherischen Liturgie gefeiert wird, gemeinsam mit uns zu halten, weil wir konkret zum Ausdruck bringen wollten, dass wir uns dem ökumenischen Zeugnis und der ökumenischen Bewegung verpflichtet fühlen", erklärt Pfr. Dr. Ishmael Noko, der Generalsekretär des LWB.

Buße und Danksagung

Die Gebetsgemeinschaft der Vollversammlung ist in einen umfassenden Prozess der Buße, der Feier und des Miteinanderteilens eingebettet. Die Fürbitten in den täglichen Andachten werden für viele zweifellos eine bewegende Erfahrung sein. Die Vollversammlung wird, wie es der Berufung der Kirche entspricht, die ganze Welt mit all ihrem Leid und Schmerz, ihrer Hoffnung und Freude in ihre Gebete einschließen. In diesem geistlichen Akt wird die ganze Schöpfung in Buße und freudigem Dank vor ihren Schöpfer gebracht, damit er die Welt verwandele.

Die Verwandlung von Menschen, soziopolitischen Strukturen, unseren eigenen Kirchen und Institutionen in Erwartung des Reiches Gottes steht im Mittelpunkt des Vollversammlungsthemas und der ökumenischen Bewegung. Die Vollversammlung wird mit einer Stimme beten, dass das Reich Gottes im täglichen Leben unserer Welt anbrechen möge.

Das Andachtsleben der Vollversammlung wird in vielerlei Hinsicht unsere Hoffnung auf die wesenhafte Einheit von Gottes Welt trotz aller Spaltungen und Differenzen vorwegnehmen. Die christliche Einheit, die die Mitgliedskirchen des ÖRK anstreben, soll nicht um des Rates und auch nicht um der ökumenischen Bewegung, sondern um der Einheit der ganzen Menschheit und der ganzen Schöpfung willen hergestellt werden.

Gemeinsam werden die in Porto Alegre Versammelten das Wort Gottes hören, das die Welt immer wieder neu erschafft, und gemeinsam werden sie ihr Leben in den Dienst des Heiligen Geistes stellen, der mit seiner Kraft unser Leben verwandelt.

P. Dr. K. M. George, ein Priester der Orthodoxen Syrischen Kirche von Malankara (Indien), hatte von 1998-2006 den Vorsitz des ÖRK-Programmausschusses inne und ist Leiter des Orthodoxen Theologischen Seminars in Kerala, Indien.