14.12.05
Wie weit können Kirchen online gehen?
Von: Sheila Jacobs
Verwandelt die Kirche sich, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen? Ist die Cyberkirche ein gleichwertiger Ersatz für die traditionelle Gemeinschaft? Oder ist sie ein "Extra"? PORTUGUESEA igreja estaria se transformando para atender a uma necessidade? A ciberigreja é um substituto ou um equivalente efetivo para a comunidade tradicional? Ou é um "extra"?
Bild in Hochauflösung
© Andres Martinez Ricci / WCC
Das Internet bietet ein neues, faszinierend vielfältiges Kommunikationsmedium, das den internationalen Informationsaustausch revolutioniert hat. Es spiegelt die reiche Vielfalt des wirklichen Lebens wider, wobei es Zugriff auf einige Wahrheiten, aber auch viele Halbwahrheiten (und Unwahrheiten!) gibt. Als virtueller Raum stellt es die Kirchen vor eine heikle Frage: in welchem Maße kann "Kirche" in einer virtuellen Welt geschehen?
Alles hängt davon ab, wie man "Kirche" definiert. Christen würden sie vermutlich als Gemeinschaft des einen Leibes Christi beschreiben, die sich in der Ortsgemeinde zum Gotteslob versammelt, an den Sakramenten teilhat und aktive Nächstenliebe übt. Kann diese gelebte Wirklichkeit nun auf eine "virtuelle" Gemeinschaft im Cyberspace ausgedehnt werden?
Im Zeitalter des Internets kündigen viele Kirchen ihre Dienste und Veranstaltungen "online" an. Das ist nur normal und die kirchlichen Webseiten sind zum modernen Äquivalent öffentlich ausgehängter Plakate geworden. Aber wie steht es mit vollständigen christlichen Gemeinschaften, die ausschließlich online existieren? Haben sie wirklich den Namen "Kirche" verdient? Könnte es sein, dass die Kirche sich gegenwärtig so verwandelt, dass ganze Gemeinschaften, die nur im Cyberspace miteinander in Verbindung stehen, die neuen Denominationen des 21. Jahrhunderts werden? Schließlich erledigen wir auch unsere Bankgeschäfte und Einkäufe online. Können wir dann nicht auch online "Kirche sein"? Oder ist die Kirche anders?
Zur Gemeinschaft in einer Ortsgemeinde gehören persönliche Beziehungen, Freundschaft und gegenseitige Unterstützung von Menschen, die gleich gesinnt sind. Man könnte argumentieren, dass Cyberkirchen dasselbe anstreben für Menschen, die keine Erfahrung mit der Kirche - oder dem Evangelium- haben oder die vom organisierten Christentum desillusioniert sind.
Aus welchen Gründen auch immer gibt es zahlreiche Menschen, für die die traditionelle Kirche keine Bedeutung mehr zu haben scheint. Viele fühlen sich wohler, wenn sie im Internet surfen, als wenn sie ihre Kirche vor Ort besuchen würden. Verwandelt die Kirche sich also, um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen? Ist die Cyberkirche ein gleichwertiger Ersatz für die traditionelle Gemeinschaft? Oder ist sie ein "Extra"?
Was hat die Cyberkirche zu bieten?
Die Kirche von England hat unter der Schirmherrschaft der Diözese von Oxford die sog. i-church (www.i-church.org) eingerichtet. Ziel ist es, "Menschen, die sich mit christlicher Nachfolge auseinandersetzen wollen, aber nicht in der Lage sind, sich einer Ortsgemeinde anzuschließen, eine christliche Gemeinschaft anzubieten". Hier wird versucht, eine online-Gemeinschaft für Menschen zu gründen, die auf Reisen sind oder mehr Unterstützung benötigen, als ihre eigene Gottesdienstgemeinschaft ihnen geben kann. Online-Gemeinschaften "können Orte der Liebe, der Großmut und der Unterstützung sein", erklärt Alyson Leslie, eine Laienpastorin, die mit der Leitung des Projekts beauftragt ist.
Die Church of Fools bietet wohl eines der einfachsten Konzepte für eine Cyberkirche: eine "virtuelle 3D-Kirche", in der Besucher sich als Comicfigur einklicken können, um die Kirche zu besichtigen, herumzugehen, sich hinzusetzen etc.. Die Church of Fools ist ein Projekt von "Shipoffools.com, the Magazine of Christian Unrest". Sie wurde als dreimonatiges Experiment von Mai bis August 2004 durchgeführt und versammelte eine weltweite online-Gemeinde. Obwohl die Webseite auch heute noch in Betrieb ist, kann die virtuelle Gemeinde bis jetzt nur alleine besucht werden; ein gemeinsamer "Kirchenbesuch" auf Multiplayer-Basis ist geplant, vorausgesetzt, es können genügend Mittel dafür eingeworben werden. Die Besucher können niederknien, sich bekreuzigen, ein Halleluja anstimmen - mit erhobenen Armen und den Blick nach oben gerichtet. Sie können auch ein schwarzes Brett anklicken und füreinander beten.
Viele Webseiten von Cyberkirchen scheinen ungefähr dasselbe anzubieten, was auch die Kirche im Programm hat. Cyber-Church.com in den Vereinigten Staaten erklärt: "Unser Auftrag lautet, Jesus Christus ins Internet zu bringen und allen, die uns dort besuchen, sein Evangelium der Liebe und Gnade ohne Scheu zu verkünden". Diese Cyberkirche erhebt nicht den Anspruch, jemals die Gemeinschaft in der eigenen Ortskirche ersetzen zu können, aber sie glaubt doch, "Heimat fernab der Heimatkirche" sein zu können. Die Webseite verspricht wahre christliche Gemeinschaft und bietet alle Arten von Diensten an, einschließlich biblischer Unterweisung, Diskussionen und Chatten im "PalTalk".
Eine andere US-amerikanische Webseite www.AlphaChurch.org erhebt den Anspruch, "eine volle christliche globale online-Kirche" zu sein. Es werden Bibelstudien, Gebetsgruppen und Diskussionen angeboten und die Besucher können beim Pastor per E-mail die Beichte ablegen und die Absolution empfangen. Es werden Gottesdienste übertragen und man kann sogar die Heilige Kommunion empfangen, sich taufen lassen und heiraten! Bei der online-Kommunion werden die Besucher eingeladen, sich etwas zu trinken und zu essen zu holen, einer aufgezeichneten Eucharistiefeier zuzuhören, in der die Elemente gesegnet werden, und diese gesegneten Elemente schließlich zu essen und zu trinken
.
Gute Second-best-Lösung?
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat vor kurzem ein Symposium mit dem Titel "eCommerce, eBay und eGott?" abgehalten, das das wachsende Interesse an online-Kommunikation in der Kirche widerspiegelte. Tom Brok, der Veranstalter dieses Symposiums, bemerkte, dass es in Zukunft durchaus eine neue Art von "Kirchenmitgliedschaft" in Deutschland geben könne, eine besondere Internet-Gemeinde, in der die Menschen Beziehungen miteinander aufbauen, über ihre Probleme oder ihre persönlichen Ziele miteinander sprechen könnten.
Matt Rich, von Internet Mission, glaubt, dass die Cyberkirche "eine gute Second-best-Lösung" darstellt und durchaus positive Aspekte hat. Seiner Meinung ist und bleibt einer ihrer Nachteile aber, dass der Gemeinschaftsaspekt, auch wenn die Cyberkirche sich in einer ganzen Reihe kirchlicher Lebensbereiche engagieren kann, notwendigerweise an seine Grenzen stößt. In der Kirche geht es darum, anderen zu dienen, zu geben und zu empfangen, herausgefordert zu werden und herauszufordern - und das ist "virtuell" nur schwer möglich.
Stephen Goddard, der Mitherausgeber von Church of Fools - deren offizieller Haupt-Sponsor die Methodistische Kirche in Großbritannien ist - zitiert Pfr. Jonathan Kerry, den für die Koordinierung von Gottesdienst und Bildungsarbeit zuständigen Referenten dieser Kirche: "John Wesley, der den Methodismus im 18. Jahrhundert begründet hat, sagteDie Welt ist meine Gemeinde' und 300 Jahre später schließt diese Gemeinde auch den Cyperspace ein." Und er fügt hinzu: "Die Church of Fools zu besuchen und dort Gottesdienste mitzufeiern, spricht die Menschen direkt an und gibt ihnen Kraft. Wir haben uns dadurch ganz neu gefragt, was wesentlich zum Kirchesein dazugehört. Kirchen, die mit Stein und Mörtel gebaut sind, werden fortbestehen, aber sie werden in Zukunft durch christliche online-Gemeinschaften ergänzt werden."
Das Internet "kann für die Kirchen bei ihrem schwierigen Auftrag zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine unendliche Hilfe sein" erklären Jean-Nicholas Bazin und Jérôme Cottin in ihrem Buch Vers un christianisme virtuel. Die Kirchen müssen in der Lage sein, Präsenz im Internet zu zeigen, und so dazu beitragen, "aus diesem neuen Kommunikationsmedium einen Ort zu machen, an dem zwischenmenschliche Beziehungen in ethisch verantwortlicher Weise gelebt und zum Ausdruck gebracht werden", betonen sie. Die Antwort der Kirchen auf die Herausforderung durch das Internet basiert auf der Überzeugung, dass "Gott uns immer einen Schritt voraus ist und dass wir keine Kontrolle darüber haben, wann und wie er sich den Menschen zeigt" (1).
Wandel
Menschen ändern sich, sie haben unterschiedliche Lebensweisen und Einstellungen und eine virtuelle Kirche kann für sie die Möglichkeit darstellen, sich mit den geistlichen Dimensionen des Lebens auseinanderzusetzen, ohne sich vereinnahmt zu fühlen. Um den Bedürfnissen dieser Menschen entgegenzukommen, verändert die Kirche sich, so dass sie die gute Nachricht von Jesus Christus all jenen bringen kann, die nie an einem Gottesdienst in einem Kirchengebäude teilnehmen würden. Es ist allerdings fraglich, ob diese Bedürfnisse allein online gestillt werden können.
Auch wenn sie manchmal richtige Gemeinschaften zu sein scheinen, können Cyberkirchen de facto vielleicht eher als Sprungbrett oder Brücke fungieren, sie können eine Einführung in den christlichen Glauben geben, die zur "richtigen" Teilnahme am Leben einer Ortsgemeinde führt. Ich glaube, dass nur wenige Cyberkirchen tatsächlich den Anspruch erheben, Ersatz für die "echte Kirche" zu sein.
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, aber können Gläubige und Suchende online die Erfahrung einer wahren, sinnstiftenden Kirche machen? Auf diese Frage gibt Stephen Goddard folgende Antwort: "Was uns mehr Sorge macht, ist die Tatsache, dass viele der Menschen, die die Church of Fools besuchen, offline keinen Zugang zur wahren Kirche haben, die ihrem Leben Sinn gibt."
Das sollte uns genügend Stoff zum Nachdenken geben.
(*) Sheila Jacobs ist eine preisgekrönte christliche Schriftstellerin. Ihr letzter Roman trägt den Titel Watchers (Authentic Lifestyle, GB). Sie ist Mitglied einer Gemeinde der Elim-Pfingstkirche in Braintree, Essex, England.
(1) Englisch: Jean-Nicolas Bazin und Jérôme Cottin: Virtual Christianity. Potential and Challenge for the Churches; Genf, 2004, WCC Publications.
(1) Französisch: Jean-Nicolas Bazin und Jérôme Cottin: Vers un christianisme virtuel? Enjeux et défis d'Internet; Genf, 2004, WCC Publications.